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übersah die Rechnung und sagte ebenfalls langsam, aber mit
leiser Stimme: »Du hast ein Leuchten. Es kommt von deinem
starken Willen, deiner Kraft, wie sie nur Menschen haben, die
bereit sind, zur Verwirklichung ihrer Ziele große Opfer zu
bringen. Deine Augen - dieses Licht zeigt sich in deinen
Augen.«
Maria fühlte sich entwaffnet; er hatte sich nicht provozieren
lassen. Sie wollte glauben, daß er sie verführen wollte, nichts
weiter. Sie durfte nicht denken - zumindest nicht in den nächsten
neunzig Tagen -, daß es interessante Männer auf der Welt gab.
»Siehst du diesen Pastis da vor dir?« fuhr er fort. »Du siehst
nur einen Pastis. Ich hingegen, der ich in das hineinschauen
muß, was ich male, sehe die Pflanze, aus der er gemacht ist, die
Stürme, denen die Pflanze getrotzt hat, die Hand, die die
Aniskörner geerntet hat, deren Reise bis hierher, rieche den Duft
des Anises und sehe seine Farbe, ehe er dem Alkohol
hinzugefügt wurde. Wenn ich eines Tages diese Szene male, ist
das alles auch in dem Bild enthalten, obwohl du dann meinst,
nur ein gewöhnliches Glas Pastis vor dir zu haben. Ebenso wie
ich vorhin, als du auf die Gasse hinausgesehen und an den
Jakobsweg gedacht hast - denn ich weiß, woran du dachtest -,
auch deine Kindheit, Jugend, deine zerronnenen Träume, deine
Pläne gemalt habe und deine Kraft - die hat mich am meisten
verwirrt. Als du das Bild gesehen hast& «
Maria schwieg. Innerlich öffnete sie einen Spaltbreit ihr
Visier, obwohl sie wußte, wie schwierig es werden würde, es
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später wieder zu schließen.
»Ich habe dieses Licht gesehen& auch wenn dort nur eine
Frau war, die dir ähnlich sah.«
Wieder dieses peinliche Schweigen. Maria schaute auf die
Uhr. »Ich muß bald gehen. Warum hast du gesagt, daß Sex
langweilig ist?«
»Das solltest du besser wissen als ich.«
»Ich weiß es, weil es mein Arbeitsgebiet ist. Und weil ich
jeden Tag das gleiche mache. Aber du mit deinen dreißig
Jahren& «
»Neunundzwanzig& «
»& jung, gutaussehend, berühmt, der noch an diesen Dingen
interessiert sein und es nicht nötig haben sollte, in die Rue de
Berne zu gehen.«
»Ich hatte es aber nötig. Ich bin mit einigen deiner
Kolleginnen ins Bett gegangen. Allerdings nicht, weil ich
Probleme habe, eine Frau zu finden. Das Problem liegt
woanders.«
Maria spürte ein Quentchen Eifersucht und war entsetzt. Sie
merkte, daß sie jetzt wirklich gehen mußte.
»Es war mein letzter Versuch. Jetzt habe ich aufgegeben«,
sagte Ralf, während er das auf dem Boden verstreute Material
zusammensammelte.
»Hast du ein körperliches Problem?«
»Überhaupt nicht. Nur Desinteresse.«
Unmöglich.
»Dann zahl die Rechnung und laß uns dann Spazierengehen!
Ich glaube, es geht vielen so, und niemand spricht es aus. Es tut
gut, mit jemandem zu reden, der so ehrlich ist wie du.«
Sie gingen den : Jakobsweg9 entlang, hinunter zum See einen
Weg, der quer durch die Berge führte und an einem fernen Ort
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in Spanien endete. Sie begegneten Leuten, die vom Mittagessen
kamen, Müttern mit ihren Kinderwagen, Touristen, die Fotos
von der schönen Fontäne im See machten, muslimischen Frauen
mit Kopftuch, joggenden Jungen und Mädchen - sie alle Pilger
auf dem Weg zu der legendären Stadt Santiago de Compostela,
die es vielleicht nicht einmal gab und an welche die Menschen
glaubten, damit ihr Leben ein Ziel und einen Sinn hatte. Diesen
von so vielen Menschen ausgetretenen Weg gingen nun dieser
Mann mit den langen Haaren und dem schweren Beutel voller
Farben, Leinwände, Stifte und die etwas jüngere Frau mit einem
Beutel voller Bücher über Landwirtschaft. Keinem der beiden
fiel ein, sich zu fragen, warum sie gemeinsam diese Wallfahrt
machten. Es kam ihnen ganz natürlich vor. Er wußte alles über
sie, und sie wußte nichts über ihn.
Und deshalb beschloß sie zu fragen. Anfangs tat er etwas
bescheiden, aber sie wußte, wie man einen Mann zum Reden
bringt, und da erzählte er ihr, daß er (ein Rekord bei
neunundzwanzig Jahren) zweimal verheiratet gewesen, viel
gereist war, berühmte Schauspieler und gekrönte Häupter
kennengelernt und unvergeßliche Feste gefeiert hatte. Er war in
Genf geboren, hatte in Madrid, Amsterdam, New York und in
Südfrankreich in einer Stadt namens Tarbes gelebt, die in den
wenigsten Touristenführern vorkam, die er aber wegen ihrer
Nähe zu den Bergen und der Gastfreundschaft ihrer Einwohner
liebte. Sein künstlerisches Talent war entdeckt worden, als er
zwanzig Jahre alt war. Ein großer Kunsthändler hatte zufällig in
einem japanischen Restaurant in Genf gegessen, dessen
Inneneinrichtung von ihm gestaltet worden war. Er hatte viel
Geld verdient, war jung und gesund, konnte tun, was er wollte,
fahren, wohin er wollte, treffen, wen er wollte. Er hatte schon
alle weltlichen Genüsse erlebt, die ein Mann erleben kann, ging
in seinem Beruf auf; und dennoch, trotz alledem, trotz Ruhm,
Geld, Frauen, Reisen, war er unglücklich, hatte er nur eine
Freude im Leben: seine Malerei.
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»Haben die Frauen dir so weh getan?« fragte sie und merkte
sofort, wie töricht die Frage war, wie aus einem Handbuch mit
dem Titel Wie erobere ich einen Mann?.
»Nein, sie haben mir nie weh getan. Ich war in beiden Ehen
glücklich. Ich wurde betrogen und habe betrogen, wie es in jeder
normalen Ehe vorkommt. Dennoch hat mich der Sex nach einer
Weile nicht mehr interessiert. Ich liebte meine Frauen immer
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